Erfahrungen in der Coronakrise

Erfahrungen in der Coronakrise

Das Erste, was ich lernen musste: Ich bin ein Risikofall!

Da hatte ich für die Kollegin eine Taufe übernommen und wurde gefragt: „Warum du, du bist doch selber ein Risikofall!“ Einige Tage später sprach mich eine Frau über den Gartenzaun an: „Habt ihr jemanden, der für euch einkauft? Du bist doch auch ein Risikofall!“ Schlimm wurde es, als ein Politiker der zweiten oder dritten Reihe (möge er dort bleiben!) öffentlich eine sofortige Wiederaufnahme des wirtschaftlichen Lebens forderte, da die meisten, doch jungen, Menschen gesundheitlich stabil seien. Für die „besonders Betroffenen“ müsse man besondere Schutzräume schaffen. Dorthin werden die Risikofälle in Schutzhaft genommen. Welche Zeiten mir da wohl vor Augen stehen?

Als Zweites durfte ich Dankbarkeit lernen und erfahren.

Ich bin dankbar, dass ich auf dem Land leben darf und einen Garten habe. Ich muss mich bei aller Vereinsamung nicht verstecken, ich darf in der frischen Luft arbeiten und auch Spaziergänge unternehmen. Ich bin dankbar für erlebte Solidarität und Mitmenschlichkeit. Ich beobachte eine neue Achtsamkeit im Umgang miteinander und mit der Schöpfung. Freilich kann ich mich über Menschen ärgern, die in der Krisenzeit zu hamstern beginnen und diese Mittel denen entziehen, die sie momentan benötigen. Dieses Verhalten ist genauso gewissensarm wie das derjenigen, die sich in Krisen und durch Krisen persönlich bereichern wollen.

Dankbar bin ich, in einem Land zu leben, in dem die meisten Politiker*innen mit Ruhe und Besonnenheit agieren und keine leichtfertigen Hoffnungen verbreiten. Dankbar bin ich für zahllose Menschen, die in der Pflege und in der Verteilung der Lebensmittel aktiv waren und sind.

Dann kam auch STOLZ hinzu. Ich bin stolz auf meine Kirche, deren Vertreter*innen kluge, mahnende und tröstende Worte finden und sich so nah bei den Menschen befinden. Das gilt für die Landeskirche und unsere vielen Kirchengemeinden, die mit Phantasie das Gemeindeleben aufrecht erhalten und mir ein „anderes“, aber doch sehr intensives (wenn nicht noch intensiveres) Ostererleben ermöglichten.

Zum Schluss meiner Gedanken erwächst in mir die Gewissheit, dass ich in den Augen meines Gottes niemals ein „FALL“ bin, sondern ein mit Würde ausgestattetes „Kind Gottes“.

Niedergeschrieben am 14. April 2020

Pfr. i.R. Heinz Weber


Bild: Thomas Wettig